Drama, Drama, Drama – jeder liebt eine saftige Geschichte

In früheren Zeiten galten Verbrechen, Sex und Verrat als legitime Themen in Kunst, Musik und Literatur, solange ihre Ursprünge auf biblische oder mythologische Quellen zurückgeführt werden konnten. Oft wurde Susanna und die Ältesten allein auf den Übergriff auf die nackte Susanna im Garten reduziert, um die erotisch/pornografischen Fantasien des Publikums zu kitzeln. Obwohl die Gerichtsszene und das Urteil in juristischen Kreisen geschätzt wurden, erschienen sie im Vergleich dazu langweilig und wurden selten als Sujet gewählt.

Um der Geschichte gerecht zu werden, ist es hilfreich, sie im Kontext des gesamten Buches Daniel zu betrachten. Nach der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier (586 v. Chr.) wurden viele Juden nach Babylon verschleppt. Dort konnten sie jedoch ihre Religion ausüben, Handel treiben, arbeiten und Gemeinschaften bilden. Trotz des Exils hielten sie an der Tora fest. Wie viele Bücher der hebräischen Bibel, des Tanakhs, wurde Daniel geschrieben, um den Israeliten im Exil Hoffnung und Glauben zu geben – eine Rolle, die es bis heute erfüllt:

„Und das Reich und die Herrschaft und die Macht der Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden.“ (Daniel 7,27)

Die Israeliten glaubten, das auserwählte Volk zu sein, basierend auf den Versprechen Gottes ihnen gegenüber im Laufe ihrer Geschichte:

  • Bund mit Abraham: Gott versprach, dass seine Nachkommen zahlreich sein würden und ein gesegnetes Volk sein sollten.
  • Bund mit Mose: Die Israeliten erhielten die Zehn Gebote und sollten als Vorbild für die Welt dienen.
  • Bund mit David: Ein ewiger König sollte aus Davids Linie kommen.

Doch die Israeliten wurden trotz Gottes Versprechungen immer wieder untreu:

  • Das Goldene Kalb: Während Mose auf dem Sinai war, beteten sie ein Kalb an (2. Mose 32).
  • Unglaube in der Wüste: Sie zweifelten an Gottes Macht und mussten deshalb 40 Jahre in der Wüste bleiben (4. Mose 13–14).
  • Die Zeit der Richter: Ständige Abkehr von Gott und Anbetung fremder Götter.
  • Könige wie Saul, Salomo und andere führten das Volk in den Götzendienst.
  • Götzendienst und soziale Ungerechtigkeit führten zur babylonischen Gefangenschaft (586 v. Chr.).

Aber im gesamten Tanakh erinnert Gott die Israeliten immer wieder daran, dass trotz ihrer wiederholten Untreue die wenigen Standhaften die Nation retten werden. Daniel, Hananja, Mischaël, Asarja und Susanna gehören zu den Standhaften. In Susannas Fall greift der junge Daniel für sie ein – ein weiterer symbolischer Beweis für Gottes langfristige Erfüllung seines Versprechens.

Die Juden warten weiterhin auf die Erfüllung der Prophezeiung und auf den Messias, der die Erfüllung mitbringen wird. Während Christen glauben, dass Jesus der verheißene Messias ist, lehnen die meisten Juden diese Interpretation ab, da nach jüdischer Sichtweise der Messias bestimmte Kriterien erfüllen muss:

  • In einigen jüdischen Schriften wird der kommende Messias als „Sohn Gottes“ in einem metaphorischen Sinn gesehen, aber nicht als göttliches Wesen, sondern als von Gott besonders erwählter Mensch, der den Frieden bringen und die Welt von Ungerechtigkeit befreien wird.
  • Der Messias wird das jüdische Volk vollständig sammeln, einen neuen Tempel errichten und die Welt wird eine Zeit des vollkommenen Gottesdienstes und der Harmonie erleben.

Dieser Konflikt besteht seit den Anfängen des Christentums und führte zu unterschiedlichen theologischen Entwicklungen in beiden Religionen.

Obwohl Daniel als Jude im babylonischen Exil lebte, stieg er dank seiner Fähigkeiten als Traumdeuter, Visionär und Prophet schnell in die Machtstruktur des fremden Reiches auf – sein politischer Einfluss hielt fast 70 Jahre an. Auch seine Gefährten Hananja, Mischaël und Asarja wurden als Berater geschätzt. Daniels Traumdeutungen waren jedoch oft düstere Vorhersagen für die Mächtigen. Beispiele dafür sind seine Interpretation von Nebukadnezars Traum von der riesigen Statue oder die Deutung der Schrift an der Wand während des großen Festes des Königs Belsazars. Seine eigene Vision der vier Tiere prophezeit nicht nur das Ende des babylonischen Reiches, sondern auch den Untergang der persischen, griechischen und römischen Nachfolgereiche. Seine Gefährten wurden in einen brennenden Feuerofen geworfen, weil sie sich weigerten, das goldene Standbild Nebukadnezars anzubeten. Und Daniel selbst wurde während der Herrschaft König Darius Opfer einer Intrige und in die Löwengrube geworfen, weil auch er nur den Gott Israels anbetete.

Der Name Daniel bedeutet auf Hebräisch „Gott ist mein Richter“ oder „Richter Gottes“. Doch die Babylonier, die ihn aus Juda gefangen genommen hatten, wollten jede Verbindung zu seiner Herkunft auslöschen und gaben ihm den Namen Beltschazzar – „Möge [Gott] sein Leben schützen“. Ironischerweise geschah genau das: Sowohl Daniel als auch seine Gefährten überlebten ihre Verurteilung zum Tode unversehrt.

In der jüdischen Tradition ist Susanna und die Ältesten für ihre ermutigende Botschaft bekannt und anerkannt, doch sie ist nicht direkt Teil des Buches Daniel im Tanakh. Die katholische und orthodoxe Kirche hingegen nehmen Susanna in das Buch Daniel auf, während sie bei den Protestanten in den Apokryphen zu finden ist – Werke mit moralisch wertvollem Inhalt, die jedoch die kanonischen Anforderungen („direkte göttliche Inspiration und Intervention“) nicht erfüllten.

Susannas Glaube, Integrität und Loyalität zu Gott geben ihr die Kraft, das unrechtmäßige Leid zu ertragen, das ihr durch die Wertvorstellungen ihrer Welt auferlegt wurde. Susanna ist eine Heldin, keine passive Leidtragende – bereit, ihr Leben für das größere Wohl zu opfern.

Ein weiteres zentrales Thema von Susanna und die Ältesten ist die zeitlose Problematik der Korruption von innen heraus. Die Täter gehörten zur angesehenen und mächtigen Elite ihrer Gemeinschaft. In diesem Sinne kann Susanna als Metapher für das gläubige Israel betrachtet werden, während die Ältesten für die unmoralischen Abweichler stehen. In Händels Oratorium Susanna werden die Ältesten als alte Männer dargestellt, die sich ihrer Lust schämen, aber nicht bereit sind, das Richtige zu tun. Stattdessen benutzen sie eine uralte Ausrede für ihr Handeln und geben Susanna die Schuld:

Erster Ältester (Akt 1):

„Obwohl siebzig Winter mein Haupt gebleicht haben, brennt mein Herz noch immer in Flammen.“

Zweiter Ältester (Akt 1):

„Ja, ihre Schönheit ist es, wie ein Zauberbann, der mein Blut entflammt und meine Jahre auflehnt.“

Händels Heldin Susanna ist jedoch stark, mutig, selbstbewusst und gottesfürchtig – Eigenschaften, die Frauenfiguren in der geistlichen Musik seiner Zeit selten zugesprochen wurden:

Susanna (Akt 2):

„Möge dir durch Täuschung die Wahrheit erscheinen, mir wird mein reines Gewissen immer bleiben.“

Die Ehe von Susanna und Jojakim reflektiert auch einen wichtigen jüdischen Glaubenssatz: Die Liebe, Treue und der Glaube zwischen Ehepartnern als Allegorie für die Beziehung zwischen Gott und Israel. Jojakims Lobpreisung Susannas erinnert an die Beschreibung der Geliebten im Hohelied Salomos:

Jojakim (Akt 1):

„Als ich meine schöne Maid zum ersten Mal sah, unter dem Schatten des Zitronenbaums, in natürlicher Unschuld gekleidet, wurde mein Herz ihr Preis.

Ich sah sie an, ich umarmte die süße Kette – könnte eine sterbliche Brust sich der Liebe entziehen? Und tausend Tugenden hielten den Sieg ihrer Augen aufrecht.“

Candace Carter 2025